eine Kooperation der Arbeitsgemeinschaft für Bildung Unterfranken und der Akademie Frankenwarte Würzburg
Seit einem Jahr wird durch die Covid-19-Pandemie das private und gesellschaftliche Leben von uns allen drastisch beschnitten. Notfallbetreuung in Kitas und Schließung von Schulen bedeuten eine besondere Herausforderung, weil Homeschooling und ein geregelter Alltag zu organisieren sind. Die berufliche Bildung leidet unter erheblichen Einschränkungen im schulischen, wie im betrieblichen Bereich. Wenn keine Veranstaltungen der Erwachsenenbildung oder auch der Musikschulen stattfinden können, fehlen notwendige und vertraute Lernangebote. Eltern mit Kindern im Kita-Alter stellt die Pandemie vor ganz besondere Herausforderungen. All das hängt maßgeblich von politischen Rahmenbedingungen ab. Zur Bewältigung der Situation sind Kompetenz und Kreativität, Durchhhaltevermögen und Transparenz gefragt, bei Erzieherinnen, Lehrkräften, Einrichtungsleitungen und Politikerinnen.
Die Arbeitsgemeinschaft für Bildung (AfB) der SPD Unterfranken und die Akademie Frankenwarte luden Interessierte, Betroffene und Akteurinnen an vier Abenden ein, die Bildungsorte: Schule, Berufliche Bildung, Erwachsenenbildung und Kindertagesstätten in den Fokus zu nehmen. Mit geladenen Gesprächspartnerinnen und Teilnehmenden wurde erforscht: Welche Erfahrungen wurden gemacht und was wird genau kritisiert? Wer kann wie zur Besserung der Lage beitragen? Welche Probleme resultieren aus der Pandemie, welche wurden dadurch deutlicher? Gibt es gemeinsame Forderungen an Politik?
Am 16.02.2021 stand die Frage im Fokus: Ist Schule systemrelevant? Zu Beginn starteten die eingeladenen Gesprächspartnerinnen mit kurzen Statements. Adam Al-Jaisani, stellvertretender Landesschülersprecher für die Förderschulen in Bayern, berichtete, dass Schülerinnen insbesondere über hohen Leistungsdruck und Prüfungsangst klagen. Positiv sieht er inzwischen: "Online-Unterricht ist zwar nicht perfekt, aber er hat sich deutlich verbessert in den vergangenen Monaten." Wichtiger Anker bei weiteren Problemen, seien es fehlende Endgeräte oder die häusliche Situation, sei und bleibe die Notbetreuung an den Schulen. Die Situation sei an allen Schularten ziemlich ähnlich. Warum allerdings nur Abiturientinnen mehr Zeitaufschub für die Abschluss-prüfungen bekommen sollen, sorge durchaus für Irritationen. Doris Olschner, Vertreterin des Bayerischen Elternverbandes, kritisierte, dass die Beschaffung von Luftfilteranlagen teilweise ausgesessen wurde, mit dem Argument, dass es doch in ein, zwei Monaten ausgestanden sei, und dafür die Investitionen zu hoch wären. Forderung des Bayerische Elternverbands: Die erreichten Noten nicht als Kriterien für das Vorrücken und den Übertritt heranziehen. Beides solle ab sofort nach individueller Sicht auf die grundsätzliche Eignung der Schülerinnen in einem Gespräch zwischen Lehrkraft und Erziehungsberechtigten erörtert und gemeinsam beschlossen werden. Gerhard Bless, Vorsitzender des Unterfränkischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes ULLV, stellt ein hohes Engagement der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schülerinnen und Schüler fest. Große Probleme bereite weiterhin der Rückstand in den digitalen Möglichkeiten und der Mangel an Lehrkräften. "Sparen, sparen, sparen - das war die Priorität, und nicht die Bildung selbst." Hinzu kämen Mängel im Gesundheitsschutz und an den Bauten selbst. Was den Schülerinnen heute vor allem Angst machte - Prüfungsangst, Notendruck usw. - seien Bildungsformalia, die schon seit einem Jahrhundert reformiert gehörten. „Die Schulbildung ist nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Das starre Notensystem passt einfach nicht mehr, doch konservative Kräfte wollen keine Veränderung und auch im Kultusministerium ist kein Veränderungswille erkennbar.“ Nach Meinung von Jörg Nellen, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW Unterfranken, sind kompetenzorientierte Lehrpläne nötiger denn je: „Wir müssen weg von der kleinschrittigen Leistungs- und Wissensvermittlung und -messung. Leistung muss mit Augenmaß betrachtet werden, die Schülerinnen müssen gut beraten und ins neue Schuljahr übernommen werden. Wir müssen loslassen, und selbst-verantwortliches Lernen im Digitalen initiieren." Die soziale Kluft im gegliederten Schulsystem sieht er durch Corona mit einer digitalen Kluft noch verstärkt.
In der anschließenden Austauschrunde kritisierte ein Förderschullehrer die fehlende Rückendeckung "von oben": Außerhalb der Schulleitung begegne man der Arbeit von Lehrkräften und Systemadministratoren eher prüfend und kritisch, wo doch ein Vertrauensvorschuss dringend nötig wäre. “Man sollte sich als Kultusminister endlich mal hinstellen und den Eltern sagen, dass es KEIN normales Schuljahr ist und an einer Lösung gearbeitet wird. Das wäre ehrlich.” Eine Lehrerin bemängelte, dass im Vergleich zu anderen Ländern (z.B. Frankreich) die Schulen hierzulande beim pädagogischen Personal, das außerhalb der reinen Unterrichtszeit Schülerinnen unterstützt, einfach unterbesetzt seien. Angesichts der gravierenden seelischen Folgen brauche es deutlich mehr Schulsozialarbeit. Martin Pfafferott von der Friedrich-Ebert-Stiftung brachte ein, dass neben dem Thema Lehrerausbildung auch der Lehrkräftefortbildung besondere Bedeutung zukommt. Er verwies auf die Ergebnisse einer Expertinnenkommission, die im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung Empfehlungen in kurz- und mittelfristiger Perspektive erarbeitete, um Benachteiligungen in Folge von Corona zu verhindern: https://www.fes.de/themenportal-bildung-arbeit-digitalisierung/bildung/lehren-aus-der-pandemie Eine Sozialarbeiterin beantwortete die Titelfrage so: „Das soziale Miteinander macht die Bildung systemrelevant. Eine gute Beziehung zur Lehrerin oder zum Lehrer und ein gutes Schulklima hat eine viel höhere Auswirkung auf die “Lernleistung” als z.B. die Hausaufgaben. Dass Lehrer*innen unterstellt wird, sie hätten nicht genug gearbeitet, ist falsch. Aber in der Diskussion wird zu wenig an die Kinder gedacht, die teilweise mehr arbeiten müssen, als zu Präsenzunterrichtszeiten. Alle hätten eine Erholung in den Faschingsferien dringend nötig gehabt, Lehrkräfte, Kinder und Eltern!“ Ein erfahrener Schulexperte stellte die wichtige Frage in den virtuellen Raum: Kann auf digitalem Weg die Erziehungsaufgabe der Schulen erfüllt werden? Während einige Teilnehmende hier deutliche Defizite verzeichnen, sehen andere Wertevermittlung und Orientierungskompetenz auch im Digitalen vermittelbar. Konsens zeigte sich bei der Erfahrung, dass herkömmliche Arbeitsblätter nicht mehr funktionieren. Doch Expertise von außen, so eine Teilnehmerin, die seit 10 Jahren viel Erfahrung im Bereich der Online-Bildung sammeln konnte, sei leider nicht angenommen worden. Kommt womöglich durch Corona ein Bewegungsschub in die angewandte Methodik und Didaktik? Werden auch die alten Probleme, die seit langem auf der Agenda stehen, verstärkt angegangen? „Es wäre fatal, zum Davor zurück zu kehren. So manche neuen Inhalte und das neue technische Know How werden ein Teil von Schule bleiben. Dass Chancengleichheit derzeit mit Füßen getreten wird, ist allerdings nicht mehr hinnehmbar,“ so ein erstes Zwischenfazit.
Am 23.02.2021 folgte der zweite Teil der Reihe mit der Fragestellung: Ist berufliche Bildung systemrelevant? Diese spielt in der öffentlichen Diskussion über die Probleme der Schulen in Zeiten der Pandemie kaum eine Rolle. Dabei stellt der Wegfall von Präsenzunterricht Lehrende und Lernende an Berufsschulen vor gravierende Probleme. Wie soll praktischer Unterricht per Distanz vermittelt werden? Ausbildung im Homeoffice ist ähnlich schwer vorstellbar. Wie gehen Schulen und Betriebe mit der Situation um? Wo fehlt welche Unterstützung? Was sollte nach der Pandemie anders werden?
Freya Altenhöner, Schulsozialpädagogin an beruflichen Schulen, berichtete von anfänglicher großer Neugierde bei den Schülerinnen am Distanzunterricht. Doch gibt es nicht wenige, denen nur ihr Smartphone hierfür zur Verfügung stehe. „Ungleichheiten verschärfen sich jetzt, Kontakte fehlen, die Angst, den Abschluss nicht zu schaffen oder auf mangelnde Akzeptanz des „Corona-Abschlusses“ zu stoßen, wächst, ebenso die Angst vor Betriebspleiten.“
Dass die berufliche Bildung selten in den Medien auftaucht – und auch zu Coronazeiten kaum Beachtung findet – wundert Wolfgang Lambl, stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundesverbands der Lehrkräfte für Berufsbildung e.V., längst nicht mehr. Dabei sei die Berufsbildung doppelt systemrelevant: sie stärke die Jugend und bilde das Rückrat der Wirtschaft. Er sieht bessere technische Möglichkeiten an den Berufsschulen im Vergleich zu den allgemeinbildenden Schulen, doch für die Online-Durchführung des praktischen Unterrichts sei extrem viel Kreativität gefragt. „Unsere duale Ausbildung wird weltweit geschätzt“, so die Jugendsekretärin der IG Metall Schweinfurt Katharina Christa, „und gute Ausbildung bleibt existentiell für die Betriebe“. Durch den Austausch mit anderen Jugendsekretärinnen weiß sie, dass die Situation sehr branchenabhängig ist. Teile der Azubis sind in Kurzarbeit, gerade auf dem Land führt die schlechte Internetverbindung zu großen Problemen. Nicht nur durch Corona erachtet sie eine andere Novellierung der Ausbildungsberufe für dringend notwendig.
Ihre Sorge, dass immer weniger Betriebe ausbilden wollen, der Trend zu immer kürzeren Ausbildungszeiten gehe oder tarifliche Regelungen für Azubis mangelhaft seien, teilt Ludwig Paul, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Unterfranken, nicht. Er sprach von 1700 offenen Lehrstellen und einer großen Bereitschaft zu Ausbildung und Übernahme. „Ein Schreiner muss heutzutage mindestens drei Azubis haben, damit einer im Betrieb verbleibt.“ Corona wirkt sehr unterschiedlich auf das Handwerk: Während Bau und Ausbau boomen, trifft der zweite Lockdown viele Betriebe, nicht nur im Friseur- oder Kosmetikbereich, extrem hart, auch Fotografinnen oder Goldschmiedinnen sind in ihrer Existenz bedroht. “Es muss dringend eine gesteuerte Öffnung geben“, so sein Plädoyer. „Das Handwerk mag im pandemischen Sinne nicht systemrelevant sein, aber für den gesellschaftlichen Wohlstand sehr wohl.“
In der Diskussion kam die Frage schnell auf, welche Vorbildung denn inzwischen von Firmenchefs erwartet würde, damit es überhaupt zur Einstellung komme. Für alle Gesprächspartnerinnen stellt sich das „Matching-Problem“ durch Corona als noch schwieriger dar: Wenn nun schon im zweiten Jahr keine schulischen Betriebspraktika mehr durchgeführt werden, es zu keiner Berufsberatung mehr kommt, weil Stoff nachgeholt werden müsse, dann haben Jugendliche auch keine Vorstellungen von den über 130 Ausbildungsberufen allein im Handwerk. Hinzu komme weiterhin, trotz großer Kampagnen, das Imageproblem in vielen Köpfen: „Wie sich die Berufsfelder im Handwerk gewandelt haben, wie interessant und anspruchsvoll die Tätigkeiten inzwischen sind, ist vielen ja gar nicht bekannt. So tingeln junge Leute mit wenig Erfolg und Spaß an der Sache von Schule zu Schule, obwohl sie in einem praktischen Beruf viel besser aufgehoben wären.“ Wichtig sei doch die Frage: Was kann der Mensch und nicht der Blick auf die Noten. Daher kommt Berufseinstiegsbegleiterinnen eine ganz wichtige Aufgabe zu. Diese bilden eine große Stütze, wenn Eltern das nicht können. Deshalb das große Plädoyer an die Politik, die europäische ESF-Förderung für Berufseinstiegsbegleitung keinesfalls auslaufen zu lassen.
Eine Teilnehmerin beklagte, dass auch umgeschulte Erwachsene derzeit große Probleme haben, da Betriebe keine Praktika mehr anbieten würden.
Ob zukünftige Probleme von Industriebetrieben, bedingt durch technischen Wandel, Brexit, Corona und weiteren Entwicklungen, dazu führen werden, dass das Handwerk eine Aufwertung erlebt? Ein Umdenken in den Köpfen zu Wertschätzung und Berufswahl erfolgen wird? Da bleiben alle Gesprächspartner*innen sehr skeptisch. „Corona macht alte Probleme noch sichtbarer, aber ob es zu einem positiven Wandel kommen wird, bleibt weiter ungewiss.“
Am 02.03.2021 folgte der dritte Teil der Reihe mit der Fragestellung: Ist Erwachsenenbildung systemrelevant? Obwohl kaum jemand die Notwendigkeit lebenslangen Lernens bestreiten würde, scheint die institutionelle Erwachsenenbildung während der Pandemie weitgehend verzichtbar. Dabei wären gerade in dieser Zeit Angebote zur Teilhabe, zur Orientierung und zur Förderung von Lebensqualität wichtig. Sind digitale Veranstaltungen eine Alternative? Ist Kreativität, musische Bildung, soziales Miteinander auf Distanz vermittelbar? Wie gehen Bildungseinrichtungen mit der Situation um? Welche Unterstützung brauchen sie jetzt, welche mittelfristig?
Für Renate Kaut, Vorsitzende des Bayerischen Volkshochschulverbands BVV Bezirk Unterfranken und pädagogische Leitung der Volkshochschule Rhön-Grabfeld ist beeindruckt, wie schnell die Kolleg*innen in Unterfranken aktiv wurden und mit Online-Angeboten das Beste aus der Situation machten und machen. Trotz Rettungsschirmen sind die finanziellen Einbußen massiv und das Schlimmste ist für sie die Unplanbarkeit durch die politischen Entscheidungen, die nicht immer nachvollziehbar sind: Integrationskurse mussten abgesagt werden, Berufssprachkurse fanden statt. Hart trifft es die hauptberuflichen Honorarkräfte. Hier kamen die finanziellen Hilfen sehr spät, so dass nicht wenige in andere Jobs abwanderten und die Unsicherheit weiterhin groß ist. Gerade für die kommende Zeit hat Kaut eine klare Forderung: „Die Politik muss gegenüber den Kommunen klar stellen, dass Erwachsenenbildung nicht kostendeckend sein kann. Bildung muss für alle angeboten werden und das geht nur durch Förderung. Der Kostendruck muss weg, wir müssen der wachsenden Erschöpfung in unserer Gesellschaft mit neuen Formaten der Gesundheitsbildung begegnen. Dazu braucht es dringend mehr Lobbyarbeit.“
Besonders hart betroffen sind Musikschulen, wie Kristina Renner, Leiterin der Musikschule Ebern, sehr anschaulich schilderte: In der ersten Schließungsphase wurde der Kontakt zu den Teilnehmerinnen via E-Mail mit Arbeitsaufträgen aufrecht erhalten und später eine Online-Plattform genutzt. Doch die Abmeldezahlen für das nächste Schuljahr stiegen und nur mit viel Werbung und Engagement konnten manche Schülerinnen und Eltern bei der Stange gehalten werden. Dann kam der zweite Lock-Down. Dass Online-Angebote, die mit viel Mühe und Liebe konzipiert wurden, ein Ersatz sein können, ist schwer vermittelbar. Zeitgleiches Musizieren ist mit den technischen Möglichkeiten derzeit noch nicht machbar, sondern nur der Einzelunterricht. Vielleicht sind Eltern durch Homeschooling auch so belastet, dass Online-Angebote für die Kleinen nur als zusätzlicher Stressfaktor empfunden werden. „Musikalische Onlineangebote werden nicht zukunftsfähig sein“, so ihr Fazit. Dies wurde auch von einer Musiklehrerin sehr anschaulich untermauert: „Die digitale Umstellung war für mich eine echte Herausforderung! Einige trauen sich das zu und lernen viel und schnell, andere brechen weg und das ist ein wirkliches Drama. Wir sind auch Kulturträger, das sollte nicht vergessen werden. Es gibt eine therapeutische Seite der Musik. Die Menschen gehen glücklich nach Hause, das Zwischenmenschliche fehlt derzeit vollkommen. Und für die Kulturschaffenden ist es oftmals eine existentielle Katastrophe, es ist so erschreckend, was manche Menschen derzeit erleben müssen.“
Professorin Dr. Regina Egetenmayer, die an der Würzburger Universität die Professur für Erwachsenenbildung/Weiterbildung inne hat, sieht große Unterschiede zwischen den Bildungseinrichtungen. Während die berufliche Bildung und Weiterbildung – nicht zuletzt durch Kurzarbeit – einen Anstieg erlebte, stehen andere Träger vor großen finanziellen Herausforderungen. Gut, wer einen starken Verband im Rücken hat. Insgesamt beobachtet die Wissenschaftlerin eine sehr große Dynamik: Fortbildung der Mitarbeitenden, digitale Seminare, umfassende Hygienekonzepte, all das ist für sie „schwer beeindruckend“. Wie äußere Schocks ein Forschungsfeld revolutionieren können, erlebt sie in einem Projekt zu digitaler Bildung, welches 2019 startete. Für sie sehr bedauerlich: „Die deutsche Erwachsenenbildungslandschaft sucht weltweit ihresgleichen. Schade, dass diese Institutionen beim Management der Coronasituation von politischer Seite nicht einbezogen wurden. Erwachsenenbildung kann vieles leisten und gerade jetzt sind Räume, auch virtuelle Räume, so wichtig, um Menschen zusammen zu führen.“ Einen ganz anderen Blick der Politik auf die Erwachsenenbildung vertrat Annette Voß, Parlamentarische Beraterin für Bildung der Bayern SPD Landtagsfraktion, die an der Veranstaltung teil nahm: „Politik stellt die finanziellen Mittel bereit, damit die Bildungseinrichtungen gestaltend einwirken und Orte sichern.“ Die Hochschulbildung sieht Egetenmeyer im Vergleich zu anderen Bereichen sehr privilegiert, was die technische Ausstattung und die Rahmenbedingungen auch für Beschäftigte angeht. Noch schwer beeindruckt war sie vom Ablauf eines vierzehntägigen OnlineSeminars, an welchem Studierende aus ganz unterschiedlichen Zeitzonen teil nahmen. In Präsenz wäre es für einige sicherlich nicht möglich gewesen, nach Würzburg zu kommen. Trotzdem ist die Situation für alle Beteiligten sehr belastend, wie Gespräche mit Studierenden zeigen. Erst in ein einigen Jahren wird ein ganz anderes Problem massiv sichtbar werden: Schon jetzt sinkt die Publikationsrate weiblicher Wissenschaftler deutlich, wogegen die ihrer männlichen Kollegen steigt. Was hier an Gendererfolgen mühsam erreicht wurde, kann schnell wieder verloren gehen.
Auch die politische Erwachsenenbildung musste sich ganz neu finden, wie Stephanie Böhm, Leiterin der Akademie Frankenwarte, aufzeigte. Politische Erwachsenenbildung lebt von der persönlichen Begegnung, vom persönlichen Austausch. Online-Angebote gab es bis April 2020 keine, denn es gab ja den attraktiven Tagungsort auf dem Nikolausberg. Doch seit April 2020 werden viele positive Erfahrungen mit Online-Angeboten gemacht. Auch wenn diese nicht als Ersatz für Präsenzveranstaltungen betrachtet werden können, sind es ausgezeichnete Foren, wichtige Themen zu behandeln und Menschen aus großen räumlichen Distanzen zusammen zu führen. Auch können so andere Bürgerinnen für politischen Austausch gewonnen werden. Kathi Petersen, beruflich in der Katholischen Erwachsenebildung in Nürnberg engagiert, war entsetzt, welchen Stellenwert die Erwachsenenbildung von politischer Seite erhielt. „In einem Zuge mit Bordellen und Spielhallen wurde die Erwachsenenbildung im Maßnahmenkatalog aufgeführt. Dabei ist Erwachsenenbildung eine ganz wichtige Stütze in Krisenzeiten, denn sie kann Menschen ermutigen.“ Gerade die gemeindliche Bildungsarbeit brach fast völlig zusammen. Maßnahmen werden geplant, abgesagt, verschoben und wieder geplant. „Das ist sehr frustrierend.“ Und das Fazit des vorletzten Abends: „Es gibt dieses und jenes“. Einerseits eröffnen sich neue Horizonte, die digitale Grundbildung wächst und auch die Infrastruktur verbessert sich allmählich. Vieles ist digital durchaus machbar mit guten kreativen Ideen. Wir müssen lernen zu selektieren, was geht und was nicht. Menschen wachsen durch die erzwungene Distanz zusammen, über räumliche Grenzen hinweg. Doch all dies gilt leider nicht für alle im Erwachsenenbildungsbereich Beschäftigte und nicht für alle Bürgerinnen. Eine gemeinsame Aufgabe war auch schnell gefunden: Nach den Lock-Down-Phasen müssen Menschen wieder real zusammen geführt werden, unter den geltenden Hygiene- und Sicherheitsregelungen. Womöglich müssen wir wieder lernen, mit 30 Personen in einem Raum zu sein?
Am 09.03.2021 folgte der vierte und letzte Teil der Reihe mit der Fragestellung: Ist der Kita-Bereich systemrelevant?
Eltern mit Kindern im Kita-Alter stellt die Pandemie vor ganz besondere Herausforderungen: Wer Glück hat, kann im Homeoffice arbeiten, doch braucht es zusätzlich gute Nerven, viel Unterstützung und 100 kreative Ideen, die Kinder gut zu betreuen. Andere sind auf Notbetreuungsgruppen angewiesen und dabei immer in Sorge, dass Infektionsfälle und neue Regelungen alle Planungen wieder ad absurdum führen. Auch Träger, Einrichtungen und Erzieher*innen stehen vor so manchen Problemen. Und wie geht es dabei den Kleinsten?
Laura Buchner, Vorstandsmitglied im Familienzentrum Würzburg e.V. und Mutter eines zweieinhalbjährigen Kindes, beschreibt das vergangene Jahr als „fordernd, entschleunigend und zugleich aufreibend“. Die Kinder wurden aus ihrem Tagesrhythmus gerissen und der Kontakt zu Gleichaltrigen endete abrupt. „Den Kita-Alltag können Eltern nicht ersetzen. Die Kinder sind nach dem Besuch im positiven Sinne ausgelastet, das ist zu Hause einfach anders.“ Für die Eltern kam es zur dauerhaften Zusatzaufgabe, die Kinderbetreuung neu zu organisieren. „Da war es schon frustrierend, als Biergärten öffnen konnten, die Kita aber geschlossen bleiben musste.“ Hinzu kamen dann für den Verein die vielen Richtlinien, die es umzusetzen galt und die Verantwortung für das Personal. Um den Kontakt zwischen Erzieherinnen und den Kindern halten zu können, war Kreativität gefragt. Mit kleinen Videos, in denen Geschichten vorgelesen oder Handpuppen-Spiele gezeigt wurden, kam ein wenig Kita-Atmosphäre nach Hause.
Monika Kraft, stellvertretende Fachbereichsleiterin Jugend und Familie, Fachabteilungsleitung Kinder-, Jugend- und Familienarbeit Stadt Würzburg, ist sich bewusst. Wenn das System Kinderbetreuung von einem Tag auf den anderen wegbricht, dann können das die wenigsten Familien abfangen. Doch sie betont: "Wir sind familienergänzend, aber nicht familienersetzend." In ihrer Funktion sieht sie sich als Anwältin der Kinder und Jugendlichen und nicht mit der Aufgabe befasst, beste Bedingungen für die Wirtschaft zu schaffen, um auf die Arbeitskraft von Eltern flexibel zugreifen zu können.
Für Kommunen ist und bleibt es besonders schwierig, Verordnungen, Hygienepläne etc. an Bevölkerung und Einrichtungen weiterzugeben. Oftmals bekommen Kommunen die Informationen zeitgleich mit Trägern und Kindertagesstätten. "Ich habe die neuesten Verordnungen noch nicht einmal gelesen, da klingeln schon die Telefone. Die Erwartungshaltung, zum Beispiel in einem Tag 40.000 Schutzmasken aufzutreiben, müssen wir erst einmal senken."
Das Thema häusliche Gewalt wird im zweiten Lock-Down viel deutlicher. Zumindest darf die Kommune inzwischen die Kinder der Notbetreuung zuweisen, bei denen Anzeichen für häusliche Gewalt bestehen. Kraft beklagte, dass Erzieherinnen sich von der Gesellschaft vergessen fühlten. Während andere beklatscht wurden oder ins Homeoffice wandern konnten, änderte sich an ihrem Arbeitsalltag wenig. Zugleich sind sie häufig doppelt beansprucht: Im Beruf und mit der Versorgung der eigenen Kinder. „Kindern wird derzeit viel abverlangt“, ist sich Monika Kraft sicher, aber: „Kinder haben eine hohe Resilienzfähigkeit und unsere Erzieherinnen schauen genau hin.“ Durch Corona sei eines klar geworden: Ein funktionierendes Kita-System ist für unsere Gesellschaft zur Selbstverständlichkeit geworden. Doch wie steht es um die Erziehungskompetenz der Eltern? „Wir sollten mehr Energie darauf verwenden, Eltern zu stärken und zu ermutigen“, so Kraft.
Cornelia Staab, Bereichsleitung Kinder, Jugend und Familie im AWO Bezirksverband Würzburg, sieht ähnlich wie Kraft in der Kommunikation ein großes Problem: Informationen über Neuregelungen erhalten Eltern und Kindergartenpersonal gleichzeitig mit dem Träger, und zwar meist aus den Pressekonferenzen der Staatsregierung. Die konkreten Arbeitsanweisungen aus den Ministerien für die nächste Woche erreichen die Träger oftmals erst am Sonntagabend . "Und dann hatte ich schon am ersten Tag des Lockdowns Eltern am Telefon, die mir sagen, dass sie keinen Elternbeitrag mehr zahlen wollen." Erleichtert wurde die interne Kommunikation durch eine Kita-App, aber nicht für Eltern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. „Unsere Erzieherinnen haben wirklich Großartiges geleistet. Im Notfall gingen sie zu den Eltern nach Hause, um ihnen selbst alle Maßnahmen und Schutzmöglichkeiten zu erläutern, notfalls in Begleitung von Personen, die als Dolmetscherinnen fungierten.“ Sorgen bereitet auch der Schutz der Mitarbeiterinnen. Daher sieht Cornelia Staab es als sehr positiv an, wenn nun geimpft werden kann. Auch Monika Kraft betonte den Mitarbeitenden-Schutz: Ein Drittel der Beschäftigten in Kitas gehört zu Risikogruppen. "Wenn wir für eine neue Pandemie etwas lernen müssen, dann: Nicht weiter mit Verboten arbeiten, sondern an den gesunden Menschenverstand appellieren."
Für Cornelia Staab ist es eine große Erleichterung, dass Notbetreuung in Kindergärten inzwischen ohne Prüfung ermöglicht werden kann. "Denn es gibt Lebenssituationen von Eltern, die nicht in systemrelevanten Berufen arbeiten, aber aus ganz anderen, wichtigen Gründen dringend Unterstützung brauchen.“
Prof. Dr. Hans-Michael Straßburg, ehemals Uni-Kinderklinik Würzburg, betonte, dass Kita-Kinder im Hinblick auf die Virusgefahr mit keiner Altersgruppe vergleichbar sind: Studien belegten, dass Kinder in diesem Alter kaum ansteckend seien. Panik sei in keinster Weise angebracht und deshalb sollte insbesondere die wichtige Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt werden. Auch für ihn hat die Stärkung der Eltern Priorität: Positive Informationen und Anregungen für Familienaktivitäten, Unterstützung bei der Schaffung neuer Strukturierungen sind gefragt. „Wir müssen Druck von den Eltern nehmen und das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“
Für die Gesprächspartner*innen zeigt sich deutlich: In Zeiten, in denen unsere Systeme so komplex sind, braucht es strategische und langfristige Entscheidungen. Auch wenn anfangs kein Masterplan aus der Schublade gezaubert werden konnte, so hätten längst Konzepte für diverse Szenarien erarbeitet werden können. Und von Gästen wurde die Sorge geäußert, dass die Corona-Beschlüsse im Laufe des Jahres mehr und mehr politisiert werden, da die Bundestagswahlen am Horizont aufscheinen.
Die Akademie Frankenwarte und die AfB Unterfranken danken allen Beteiligten für den wichtigen Austausch an den vier Abenden. Nun bleibt zu hoffen, dass die Erkenntnisse, Ideen und Forderungen auf offene Ohren stoßen bei Entscheidungsträgerinnen und engagierten Bürgerinnen.
Für Fragen und Anregungen stehen Kathi Petersen (AfB Unterfranken, Jutta.Henzler@spd.de) und Stephanie Böhm (Akademie Frankenwarte, stephanie.boehm@frankenwarte.de) gerne zur Verfügung.